Beizäumung

Beizäumung, Am Zügel gehen, durchs Genick gehen

Was genau ist Beizäumung und warum soll ein Pferd unter dem Reiter diese Kopfhaltung einnehmen?

 

Es ist nicht notwendig, dass ein Pferd, das geritten wird, permanent in beigezäumter Haltung läuft. Nimmt es diese Haltung jedoch nie ein, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass das Pferd nicht gesunderhaltend trainiert wird.

 

Per Definition befindet sich in der Beizäumung die Nasenlinie kurz vor oder an der Senkrechten (in Relation zum Boden) und das Genick ist der höchste Punkt. Das Genick ist eigentlich kein Punkt sondern ein Bereich, der sich erstreckt vom Hinterhauptsbein über den ersten Halswirbel (Atlas) bis zum zweiten Halswirbel (Axis). Da die ersten beiden Halswirbel fast ein Drittel der sichtbaren Halslänge ausmachen, gibt es da also etwas Variabilität.

 

Um zu verstehen, was an dieser Kopfhaltung so gesund für ein Reitpferd ist, hilft es, sich anzuschauen, wann sie natürlicherweise beim Pferd entsteht, und zwar ohne Zügeleinwirkung.

 

Sie entsteht immer dann, wenn das Pferd forcierten Gebrauch von seinen Hinterbeinen macht, so wie von der Natur vorgesehen. Es nutzt sie als Sprungfeder, beugt Knie und Sprunggelenk vermehrt, platziert den Huf bei der Lastaufnahme senkrecht unter dem Hüftgelenk und senkt seinen Körper somit hinten ab. Dabei richtet sich die Halsbasis in die Höhe. Die Nackenmuskeln entspannen sich und der Kopf und ggf. die ersten ein bis zwei Halswirbel hängen wiederum leicht herab. So kann das Pferd trotz des aufgerichteten Halses geradeaus schauen und der Winkel im Genick entspricht dem Winkel am Übergang von der Hals- zur Brustwirbelsäule. Es ist anatomisch so vorgegeben, dass diese beiden Winkel im gleichen Verhältnis spitz oder flach sind. Andernfalls werden Weichteile überdehnt und Wirbelgelenke komprimiert.

 

Bei aufgerichtetem Hals bildet die Halswirbelsäule ein S. Die oberen drei Halswirbel bilden eine Kyphose, d.h. Eine konvexe Form, die unteren drei eine Lordose, eine Konkavität. Der mittlere Wirbel bildet den Übergang. In der optimalen Arbeitshaltung, der Beizäumung, verstärken sich die S-Krümmungen. Der Hals wird zwar länger, die Wirbel werden teleskopartig auseinandergefahren, dennoch verkürzt sich der Abstand zwischen Kopf und Rumpf bzw der zwischen Pferdemaul und Reiterhand. Dies ist die Folge von verkleinerten Winkeln zwischen Kopf und Hals sowie Hals und Brust. Das Pferd bringt seinen Kopf näher an seinen Schwerpunkt, was ihm dabei hilft, Gewicht auf die Hinterhand zu verlagern, gleichzeitig ist es aber, durch Muskelzüge bedingt, auch Folge der Hankenbeugung.

 

Ursache und Wirkung sind im Bewegungsapparat sehr oft nicht klar zuzuordnen. Vieles geschieht wechselseitig. Deshalb kann man nicht generell sagen, dass die Beizäumung immer Folge der Hinterhandaktivität sein muss und keinesfalls durch die Reiterhand hergestellt werden darf. Es ist unter Umständen durchaus umgekehrt möglich, dass die Kopfhaltung das Pferd zur verbesserten Lastaufnahme hinten veranlasst. Sie kann aber keinesfalls mechanisch durch einen Rückwärtszug an den Zügeln hergestellt werden. Hierbei kann zwar eine senkrechte Nasenlinie aber keine echte Beizäumung entstehen, da letztere mit einem Loslassen bestimmter Muskelgruppen einhergeht. Man kann dem Pferd beibringen, auf Zudrücken des Zügels (nicht Ziehen) mit einem Nachgeben der Muskeln zu reagieren, die Hals und Kopf gerade nach vorne strecken. Anstelle deren werden dann die Hebemuskeln der unteren Halswirbelsäule aktiv und es kommt zur besagten stärkeren S-Form. Die Aufhebung der Halsstrecker nimmt dem Pferd einiges an Stabilität und Balance, die es nun vermehrt durch Kraft und Koordination seiner vier Gliedmaßen wahren muss. Hat ein Reiter nicht gelernt, sein Pferd hierin zu unterstützen, mit der Gesamtheit seiner Hilfengebung, ist es also höchst unwahrscheinlich, dass er durch reine Zügeleinwirkung eine Beizäumung herstellen und länger als eine Sekunde erhalten kann. Es sei denn, das Pferd ist fertig ausgebildet und auf Kandare gezäumt.

 

Es gibt zwei Formen der unechten Beizäumung: Entweder verkürzt das Pferd seine Unterhalsmuskeln. Es rollt sich auf. Die Kyphose der oberen Halswirbelsäule breitet sich über die gesamte Länge des Halses aus, aus dem S wird ein C. Das Genick ist nicht der höchste Punkt. Vieles, was als Vorwärts-Abwärts bezeichnet wird, fällt in diese Kategorie.

Oder das S bleibt zwar erhalten, seine Winkel aber durch Zügelzug zu stark verkleinert, so dass Genick und Hals-Brustwirbel-Übergang gequetscht werden. (Überzäumung) In beiden Fällen hat der Rest des Körpers keine Chance sich an die Kopfhaltung anzupassen. Die Wirbelsäule behält ihre Bergabtendenz von hinten nach vorne.

 

In rot Kyphose (konvexe Biegung), in blau Lordose (konkave Biegung)
In rot Kyphose (konvexe Biegung), in blau Lordose (konkave Biegung)
in der ganz tiefen Halshaltung kehrt sich die S-Form sogar um
in der ganz tiefen Halshaltung kehrt sich die S-Form sogar um

oben links: normale, aufmerksame Halshaltung. 

oben mitte: Beizäumung

oben rechts: Überzäumung

unten links: aufgerollter Hals, C-Form

unten mitte: herausgehobener Hals, Hirschhals

unten rechts: gestreckter Hals, S-Krümmung abgeflacht: fehlende Hankenbeugung, kein Schub, keine Stoßdämpfung für die Wirbelsäule 

Ein besseres Kriterium als eine senkrechte Nasenlinie ist daher die untere Brustbeinlinie im Bereich der Gurtlage. Sie zeigt bei stark versammelnden Lektionen oder zu Beginn des Galoppsprungs bergauf. Die meiste Zeit sollte sie horizontal verlaufen. Verläuft sie von hinten nach vorne bergab spricht das für Vorderlastigkeit und eine auf Dauer für das Pferd ungesunde Haltung. Bei künstlicher Beizäumung ist auch eine Taktverschiebung zwischen Vorder- und Hinterbeinen zu beobachten. Die Hinterbeine fußen gestreckter, also steiler in den Hanken. Die Vorderbeine zeigen einen übertriebenen Raumgriff der nicht zu dem der Hinterbeine passt.

 

Die gleichmäßige Verteilung von Kyphose und Lordose auf die Halswirbelsäule, ist, wie man sich denken kann, ein instabiles System, da es aktive Muskelarbeit erfordert. Ermüden die halshebenden Muskeln und/oder die Hinterhand, sehen viele Reitpferde keinen anderen Ausweg, als sich aufzurollen. Sie bringen damit ihr Nackenband mit ihren gedehnten Nackenmuskeln auf Spannung und lehnen sich gegen das Gebiss. Das geht besonders gut, wenn das Maul auch noch zugeschnürt ist. Hier kommt es verständlicherweise zu starken Schädigungen verschiedener Strukturen: Halswirbelgelenke, Halsmuskulatur, Ohrspeicheldrüse, Zunge, Laden, Kiefergelenk, Vorderbeine, Rücken....

Die andere Variante, sich dem instabilen S zu entziehen ist das „Herausheben“. Die Nasenlinie nähert sich hierbei der Waagerechten. Da das Pferd die Nackenmuskeln nicht länger locker lassen kann, flacht sich die Kyphose ab, die Lordose im unteren Halsteil bleibt bestehen und breitet sich nach oben hin aus. Ein „Hirschhals“ entsteht und die Oberlinie verliert ihre elastische Dehnung.

 

Beides darf mal passieren. Die Nase darf mal vor und mal hinter die Senkrechte kommen. Wichtig ist, dass es in beide Richtungen geht und das Pferd immer öfter und länger schafft, die mittlere Position zu halten. Noch besser ist, bevor es wegen übermüdeter Muskeln oder Gleichgewichtsverlust zum Einrollen oder Herausheben kommt, das Pferd in eine freie Kopf-Halshaltung zu entlassen und eine Pause einzulegen. Nur durch richtige Dosierung der Trainingsreize ist langfristig ein Muskelaufbau möglich. Das Zügel-aus-der Hand-kauen-lassen ist ein wichtiger Prüfstein für eine korrekte Beizäumung. Streckt das Pferd den Hals dabei gar nicht und kommt erst recht hinter die Senkrechte, oder streckt es Kopf und Hals sofort ruckartig in die Waagerechte, war die vorherige Kopf-Halshaltung erzwungen und das Pferd überfordert.  

Diese Bilder zeigen den Zusammenhang zwischen Hankenbeugung und einer Nasenlinie, die sich der Senkrechten annähert, die "relative Aufrichtung". Zügel sind nicht vorhanden oder hängen durch: