Wenn man Gegenstände, an denen man festhalten oder ziehen kann, am Körper eines anderen Lebewesens befestigt... dann mag das ja der Sicherheit dienen. Wenn man aber die Vorstellung hat, dass das der Gymnastizierung dienen soll, dann wäre es bestimmt ratsam, sich mal intensiv in das betroffene Lebewesen einzufühlen und sich der Wirkung dieses Instruments genau bewusst zu werden.
Auf Zug an einem Körperteil kann ein Tier auf zwei Arten reagieren. Entweder mit direktem Widerstand durch Muskelkraft oder mit Nachgeben in Zugrichtung. Die natürliche, reflexartige Reaktion wäre in den meisten Fällen Widerstand. Damit bewahrt das Individuum sein Gleichgewicht und seine Autonomie. Ein Nachgeben kommt vor, wenn ein empfindliches Körperteil betroffen ist, das durch Widerstand beschädigt würde. Oder es ist erlernt. Erlernt bedeutet, dass in der Vergangenheit auf die Widerstandsreaktion eine Strafe gefolgt hat oder auf ein zufälliges Nachgeben eine Belohnung oder beides.
Wenn ein Körperteil eines Individuums, das steht, sitzt oder sich fortbewegt, aus seiner Position gebracht wird, passiert naturgemäß ein Gleichgewichtsverlust, der ausgeglichen werden muss. Und das tut das Nervensystem auch innerhalb von Millisekunden.
Wenn im Fall des Kappzaums durch Zug am Nasenbein nach links, eine Genickstellung nach links erfolgt, schwenkt gleichzeitig die Halsbasis nach rechts und das rechte Vorderbein wird vermehrt mit Körpergewicht beladen. Das Pferd hat nun drei Möglichkeiten, um nicht hinzufallen:
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Es bringt seine Hinterbeine aus der Spur nach innen. Man nennt das „Ausbrechen über die Schulter“
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es bringt seine Hinterbeine aus der Spur nach außen. Man nennt das „Ausbrechen der Hinterhand“
In beiden Fällen wird dem Pferd die Vorwärtsbewegung erschwert.
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Das Pferd setzt Muskelkraft, insbesondere der Rumpfträger und der Hinterbeine ein, um auf gebogener Linie in der Spur zu bleiben. Das ist die erwünschte Reaktion auf das Stellen im Genick mittels Kappzaum. Für diese Reaktion ist es aber notwendig, dass das Pferd eine Idee von Lastaufnahme der Hinterhand hat.
Talentierte, von Natur aus versammlungsfreudige Pferde kommen eventuell von alleine darauf. Andere nicht. Ihnen kann man es beibringen, aber das ist sehr aufwändig und kostet viel Zeit und Geduld.
Hängt man ein nicht geschultes Pferd mit Kappzaum an die Longe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass entweder die Hinterbeine aus der Spur der Vorderbeine geraten oder es gar nicht erst zum Nachgeben im Genick kommt. Und wenn kein Nachgeben sichtbar ist, dann ist zwar vielleicht auch kein Widerstand sichtbar, die Nase zeigt weiterhin geradeaus, aber man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass ein Widerstand vorhanden ist. Und der ist gar nicht mal so unsichtbar, wenn man weiß, worauf zu achten ist. Lokalisiert ist er in der Nackenmuskulatur. Hier sorgt eine isometrische Anspannung für Stabilisierung der Halswirbel gegen einen, vielleicht nur drohenden, Zug an der Nase zur Seite. Das an sich sieht man nicht, da die Muskeln sich dabei nicht verkürzen, sondern eben nur fest werden. Was aber sichtbar ist, sind die Folgen für den gesamten Bewegungsablauf. Schwung geht verloren. Knie und Sprunggelenke werden steif. Es kommt zur Taktverschiebung mit rückständiger Vorhand. Das sind manchmal nur kleine Nuancen. Oft sieht man eine verkniffene Gesichtsmimik. Das Genick ist etwas zu weit geöffnet, bei aufgewölbtem Hals. Gelegentlich wird der Kopf schief gehalten, dabei wird das Weiße im Auge sichtbar. Es kann zu deutlichem Abwehrverhalten an der Longe kommen im Gegensatz zum Longieren am Stallhalfter. Viele Pferdebesitzer vermeiden dieses Abwehrverhalten, indem sie das Pferd an der Longe in Ruhe seine Kreise traben lassen. Ohne Schwung, mit Taktverschiebung und spannigem Hals. Sobald man körpersprachlich in irgendeiner Form Druck machen würde, etwa um ein bestimmtes Hinterbein zu mehr Schub zu animieren und Biegung zu erzeugen, würde das Pferd dem Menschen mitteilen müssen, dass das so nicht geht. Auf diese Weise hat mir mal ein bestimmtes Pferd bewusst gemacht, dass Pferde es eventuell ziemlich blöd finden, an der Nase herumgeführt zu werden. Der Karabiner der Longe hat diese Erfahrung nicht überlebt. Das Longieren am Stallhalfter war vorher und nachher kein Problem. Erst dann fiel mir dieser mürrische Gesichtsausdruck bei kappgezäumten Pferden auf... und die anderen oben beschriebenen negativen Auswirkungen auf die Gänge, die schon mit Stallhalfter weniger und in der Freiarbeit gar nicht vorhanden sind.
Wenn man Ausrüstungsgegenstände einsetzt, dann muss man sich wirklich fragen, ob man sie korrekt anwenden kann und möchte. Und vor allen Dingen, sollte man wissen, wieviel Gewalt man damit auf ein Lebewesen ausüben kann. Das Nasenbein ist ein langer Hebel, der Direkt auf das Genick wirkt. Man stelle sich das vor. Da steht jemand in 8 Meter Entfernung und hat dein Genick am langen Hebel, während du rennen sollst. Wo ist dann dein Bewusstsein? Bestimmt nicht in der Körpermitte.
Es ist etwas anderes, wenn man den Kappzaum zur Bodenarbeit einsetzt, bei der man sich nah vor dem Pferd befindet. Daraus kann man ja Schritt für Schritt mehr Abstand nehmen und das Longieren in Stellung und Biegung entwickeln. Und auch wenn man den Kappzaum zum Reiten einsetzt, ist das keine Androhung zum Genickbruch, da die Wirkungsrichtung nach hinten und nicht zur Seite ist. Aber das sind anspruchsvolle Dinge, die man gelernt haben und können muss. In Laienhände gehört ein Kappzaum ganz sicher nicht.