Mit dem Mainstream zu gehen, ist gar nicht so unklug. Man verschwendet keine Zeit damit, sich mit exotischen Dingen auseinanderzusetzen und das Rad neu zu erfinden. Methoden, Vorgehensweisen etc., die es in den Mainstream geschafft haben. haben sich bewährt. Die kann man direkt so nutzen. Da macht man nicht viel falsch. Jedenfalls bekommt man immer Bestätigung und Unterstützung, weil viele so vorgehen und das gutheißen. Mit dem Strom zu schwimmen kostet am wenigsten Energie. und Energiesparen ist nicht dumm. Vor allem bei Hobbys. Im Beruf und in der Wissenschaft und Forschung dagegen macht es Sinn, mehr Energie aufzuwenden und andere Möglichkeiten zu prüfen. Und vielleicht auch dann, wenn ein anderes Lebewesen mit im Spiel ist.
Die Reiterei nach FN-Richtlinien, wie sie im modernen Reitsport praktiziert wird, ist eine vereinfachte, abgespeckte, verkrüppelte Form der Reitkunst, wie es sie mal gab. Der Grundsatz, dass ein Reitpferd Hankenbeugung lernen soll wird für die ersten Ausbildungsjahre völlig außer Acht gelassen und man belastet das Pferd kilometerweise mit Reitergewicht auf der Vorhand. Dies würden sicherlich noch einige Pferde, robust wie sie sind, eine gewisse Zeit überstehen, wenn man irgendwann damit anfangen würde, das Pferd zu setzen. Nur leider erreichen sehr sehr viele Hobbyreiter diese Phase gar nicht. Sie reiten ein Pferdeleben lang so, wie es die Reitlehre für junge Pferde und nur für eine begrenzte Zeit vorgesehen hat.
Da trifft man dann oft auf eine so seltsame falsche Bescheidenheit: "Für meine Zwecke reichts" . "Ich hab keine Dressurambitionen" oder "Er braucht das nicht zu können". man hält sich dann für besonders nett dem Pferd gegenüber, weil man ihm die anstrengende Versammlung nicht abverlangt. Man hat aber trotzdem kein Problem damit, den Pferderücken mit 60, 70 oder 80kg Lebendgewicht zu belasten und vergisst, dass kein Pferd ohne Hankenbeugung das auf Dauer unbeschadet überstehen kann.
Die Sache geht einher mit einem zweiten Phänomen, das in der Reiterwelt zu beobachten ist: die Blindheit der Reiter*innen für krankhafte Bewegungsabläufe. Ich bekomme immer wieder mit, dass die Männer der Pferdebesitzerinnen, die gar keine Ahnung von Pferden haben, besser beurteilen können, ob ein Pferd sich gesund bewegt, als die Damen selbst. Unbefangene Menschen haben oft eine Abneigung gegen Unnatürliches wie Ausbinder, Longieren und Vierecke. Menschen haben von Natur aus ein Gespür oder eine Intuition dafür, ob ein Tier sich unbeschwert bewegt oder ob seine Abläufe gehemmt, steif oder instabil sind. Nur wir Reiter*innen haben das offenbar verlernt. Wir achten auf ganz spezielle Dinge. Auf die Kopfhaltung, die möglichst tief sein soll. Auf die Kontrollierbarkeit und Berechenbarkeit des Pferdes. Es ist beschämend, was für ein Bild man in deutschen Reithallen geboten bekommt. Taktfehler, ruckartig kontrahierende Kruppenmuskeln, schwunglose Gänge, verkniffene Mäuler, knirschende Zähne, durchgestreckte Knie- und Sprunggelenke, völlige Unlust zu laufen... und die Reiter*innen meinen, sie müssten ihr Pferd nur über all das hinwegtreiben, denn Bewegung muss ja sein.
Leute, wacht auf, ein Pferd das so läuft, hat entweder Angst oder nicht genug Kraft oder Schmerzen! Und da gehört dann kein Mensch auf den Rücken, auch nicht, und gerade nicht, am langen Zügel im Gelände! Bewegung ist auch ohne Mensch auf dem Rücken möglich. Und es ist auch in vielen Fällen Rehabilitation möglich, die das Pferd wieder reitbar macht, aber die muss kleinschrittig und durchdacht erfolgen. Sich an der traditionellen Reitkunst der Légèreté zu orientieren ist hilfreich, denn sie zielt auf Nachgiebigkeit der Hanken und Anheben des Rumpfs ab und stellt damit die Gesunderhaltung des Pferdes in den Mittelpunkt.
Das ist nicht der einfachste Weg aber er macht viel mehr Spaß. Pferd und Mensch.
Die Légèreté kann übrigens auch Probleme sichtbarer machen. Sie nimmt dem Pferd Schonhaltung und Schiefe weg, mit denen es gegebenenfalls Lahmheiten kompensiert hat. Dann wieder zur gewohnten, vorderlastigen Reitweise zurückzukehren, wäre auch wieder der Weg des geringsten Widerstandes, behebt aber natürlich nicht die Ursachen, sondern setzt das Pferd langfristig verschleißender Fehlbelastung aus. Stattdessen tiermedizinische Hilfe hinzuzuziehen und die Ansprüche aufs Reiten erstmal zurückzustellen ist irgendwie nicht schön. Reiten soll ein Hobby sein und keine Wissenschaft und soll auch nicht ein Vermögen kosten.
Wer konnte, als man sich ein Pferd kaufte, ahnen, dass es derart kompliziert wird? Niemand. Aber jetzt ist es halt so. Es ist kompliziert und teuer. Das kann man ungerercht finden und sich auf den Kopf stellen. Es bleibt kompliziert und teuer. Oder man geht einfach nur noch mit dem Pferd im Gelände spazieren und macht spielerische Freiarbeit.
Bitte hört nur auf blind und abgestumpft zu sein und zu denken, das Pferd muss irgendwas. Das Pferd muss sich bewegen, ja, aber nicht um jeden Preis und nicht egal, wie.
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