Dieser Artikel ist für mein früheres Ich, vor zwanzig Jahren, als mein Pferd anfing zu stolpern und seitdem über viele Jahre kontinuierlich versteifte. Seit ich wusste, dass sie Arthrose hat, war die Beziehung zu meiner Stute überschattet durch einen ständigen Schleier aus Sorgen. Mein folgender Lebensweg wurde durch nichts so maßgeblich bestimmt, wie durch diese Sorge um mein Pferd. Ich widmete mein ganzes Berufsleben der Frage, warum Gelenke degenerieren und ob man diesen Prozess nicht doch stoppen kann.
Die Tierärzte konnten mir das nicht beantworten. Meine Ausbildung zur Tierheilpraktikerin konnte mir das auch noch nicht beantworten. Ich vertiefte mich mehr und mehr in das Thema Biomechanik und die Antwort offenbarte sich mir allmählich, scheibchenweise. Und als ich in der Lage gewesen wäre, positiv in die Bewegungsgewohnheiten meiner Stute einzugreifen, war es für sie zu spät. Ihr Stoffwechsel war altersbedingt in einem katabolen Zustand, d.h. Der Körper baute keine neue Muskelmasse mehr auf, was ein nachhaltiges Verändern der Bewegungsabläufe praktisch unmöglich macht. Sie ist trotz ihrer Arthrose 37 Jahre alt geworden. Nur nicht mit der Lebensqualität, die ich mir für sie gewünscht hätte.
All die Jahre habe ich alles gemacht, was bei Arthrose empfohlen wird: Entzündungshemmende und durchblutungsfördernde Futterzusätze, Hyaluronsäure spritzen lassen, wärmende Stallgamaschen, tägliches Spazierengehen, Einreibungen, Umschläge, Homöopathische Mittel.... all das war sicher nicht umsonst. Mein Pferd hatte so gut wie nie akute Schübe mit plötzlich auftretenden Lahmheiten. Aber die Knochenzubildungen, die Versteifung der Gelenke schritt trotzdem unaufhaltsam weiter voran. Die Schmerzen verschlimmerten sich sehr schleichend und blieben auf einem für sie händelbaren Level. Ihre Abläufe wurden langsam immer staksiker. Ich habe das mit angesehen und konnte nichts dagegen tun. Aber ich habe meine Antworten gefunden. Diese Antworten haben fast ein Pferdeleben lang gebraucht. Aber sie sind jetzt da, für andere Pferdebesitzer*innen, die genauso in Sorge und Unverständnis sind, wie ich es so viele Jahre lang war.
Arthrose gilt als unheilbar. Was die Tiermedizin und die Futtermittelindustrie anbietet, um den Prozess zu verlangsamen oder die Beschwerden zu lindern, basiert auf zwei sich teilweise überlappenden) Konzepten:
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Entzündungshemmung und Durchblutungsförderung
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Besondere Nährstoffversorgung zur Stärkung des Gelenkknorpels und der Gelenksflüssigkeit
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kann aufgeteilt werden in innerliche, äußerliche bzw lokale oder systemische Anwendung. Unter die innerliche, systemische Anwendung fallen alle schulmedizinischen Schmerzmittel wie Phenylbutazon, Metacam, Cortison sowie pflanzliche Entzündungs-und Schmerzhemmer wie Teufelskralle, Ingwer, Hanf etc pp oder chemische wie MSM. Lokale innerliche Anwendung wäre die Injektion von Cortison ins Gelenk oder sonstiger entzündungshemmender Injektionen in Gelenknähe. Lokal äußerlich gibt es verschiedenste Einreibungen wie Dexamethason in DMSO, verschiedene Wärmegels, Tensolvet, Arnika- oder Beinwellsalbe, Tonerdepackungen, Retterspitzumschläge. Auch die Behandlung mit Blutegeln fällt in diese Kategorie
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Zur Ernährung des Gelenkknorpels und Verbesserung der Viskosität wird Grünlippmuschel, Gelatine, Kollagen, Chondroitin und Glucosamin als Futterzusatz angeboten, Hyaluronsäure wird per Injektion verabreicht, entweder ins betroffene Gelenk selbst oder systemisch als Kur mit mehreren Muskelspritzen, damit der Körper es dorthin bringen kann, wo es gebraucht wird.
In bestimmten Fällen ist auch eine chirurgische Intervention möglich, etwa wenn freie Knorpelfragmente im Gelenk schwimmen und Reibung verursachen. Außerdem werden Gelenkversteifungen durchgeführt, wenn eine Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit zugunsten (der erhofften) Schmerzfreiheit aufgegeben wird, das wird z.B beim Spat gemacht, eine Arthrose der Sprunggelenksanteile, in denen physiologischerweise nur wenig Bewegung stattfindet und die als evolutionäres Relikt angesehen werden. Auch mit einem versteiften Krongelenk kann ein Pferd noch laufen.
Generell wird empfohlen, das Pferd weiterhin schonend zu bewegen und nicht (tagsüber) in der Box zu halten, da lange Stehzeiten, die Beschwerden verschlimmern.
All diese Behandlungsmethoden sind sicherlich geeignet, eine Linderung der Arthrosebeschwerden herbeizuführen und können eine wertvolle Unterstützung sein. Keine von ihnen kann aber den degenerativen Prozess, dem das Gelenk unterliegt, stoppen, denn keine von ihnen behebt die Ursache dieses Prozesses.
Als Ursachen für Arthrose werden angegeben: Verschleiß, Fehlbelastung, Überlastung, Bewegungsmangel, Alter, rasse-bzw. wachstumsbedingte Instabilität, Verletzungsfolge, genetische Veranlagung
Mir sind diese Angaben viel zu allgemein gehalten. Und sie erklären auch nicht zufriedenstellend warum manche Pferde von Arthrosen betroffen sind und andere nicht, auf die diese Faktoren genauso sehr oder genauso wenig zutreffen.
Lasst uns der Arthrose auf den Grund gehen.
Arthrose beschreibt, wie gesagt, einen mehr oder weniger langsam fortschreitenden Prozess, bei dem ein Gelenk irreversibel geschädigt wird.
Ein Gelenk besteht aus:
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den Flächen von zwei oder mehr miteinander artikulierender Knochen
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der hyalinen (glatten) Knorpelschicht, mit der diese Flächen überzogen sind
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der Gelenkflüssigkeit oder -schmiere (Synovia). Sie wird vom Knorpel gebildet und hat eine hohe Viskosität. Zwischen den Knorpelflächen befindet sich im gesunden Zustand immer eine millimeterdünne Schicht an Gelenkflüssigkeit
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der Gelenkkapsel. Bei dem Wort Kapsel haben die Leute oft falsche Assoziationen. Die Gelenkkapsel ist die Haut, die aus der Knochenhaut (Periost) kommend, das Gelenk umgibt und die Gelenkflüssigkeit an ihrem Platz hält. Sie sorgt dafür, dass das Gelenk ein abgeschlossener Hohlraum ist. Die Kapsel hat Aussackungen an den Stellen, wo das Gelenk nicht von Bändern oder Sehnen umgeben ist. Produziert das Gelenk vermehrt Gelenksflüssigkeit, was bei akuten und chronischen Entzündungen der Fall ist, wölbt sich die Gelenkkapsel an diesen Aussackungen hervor. Das ist, was äußerlich sichtbar ist und als „Galle“ bezeichnet wird.
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Den Gelenkbändern. Sie setzen (meist von außen an der Knochenhaut) an den beteiligten Knochenpartnern an und begrenzen die Beweglichkeit bzw führen die Bewegung in ihrer vorgesehenen Achse
Was bei Arthrose passiert:
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Gelenkknorpel wird durch Reibung verletzt und abgebaut, die Knorpelschicht wird dünner
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es entstehen chronische oder schubweise akute Entzündungen des Gelenks. Die Gelenkschmiere verliert ihre Viskosität, wird wässriger. Als Entzündungsreaktion wird meist vermehrt Gelenksflüssigkeit gebildet, was den Viskositätsverlust mehr oder weniger gut kompensiert
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Die Knochensubstanz im Inneren unterhalb des Gelenkknorpels wird schwächer
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an den Gelenkrändern und Bandansätzen wird zusätzliche Knochensubstanz aufgebaut. Diese sogenannten Osteophyten oder Knochenexostosen können zackig, unregelmäßig bis blumenkohlartig aussehen. Oft scheint der Körper durch Knochenzubildung die Gelenkfläche an einer Seite des Gelenks vergrößern zu wollen
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Nicht die Schädigung des Knorpels oder die Knochenwucherungen verursachen Schmerzen, sondern die darauf folgende Entzündungsreaktion des Körpers, der geschädigtes Gewebe zu reparieren versucht. Der Gelenkknorpel an sich besitzt keine Schmerzrezeptoren, wohl aber Knochen, Knochenhaut, Gelenkkapsel, Bänder und in der Umgebung befindliche Weichteile. Der Körper beginnt, mit Muskelverspannungen die Beweglichkeit des Gelenks einzuschränken, um sich vor Schmerz zu schützen. Eine Schonhaltung und Veränderungen im Bewegungsablauf, bis hin zur Lahmheit entstehen.
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Die Schmerzen werden oft erst viel später bemerkbar, wenn die Arthrose schon weit fortgeschritten ist.
- im letzten Stadium, was aber nicht immer erreicht wird, versteift das Gelenk vollständig
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Beugehemmung des arthrotischen Fesselgelenks
Soweit so bekannt. Aber nochmal zurück zum ersten Punkt. Gelenkknorpel wird durch Reibung verletzt... Aber warum???
Wie funktioniert ein Gelenk denn eigentlich im gesunden Zustand?
Wichtig: die Gelenkknorpel sind nicht dafür gedacht, aneinander entlang zu reiben oder gegenseitig Druck aufeinander auszuüben. Zwischen ihnen soll auch bei größter Belastung immer ein Spalt mit Synovia sein. Die Kraftübertragung von einem auf den anderen Knochen erfolgt über ein komplexes System aus Sehnen und anderem Fasziengewebe. Druckkräfte werden in Zugkräfte umgeleitet. Beispiel Fesselgelenk: Wird das Bein maximal von oben durch die Schwerkraft (also den Pferdekörper) belastet, sinkt der Fesselkopf ab, das Röhrbein drückt nun nicht etwa aufs Fesselbein, sondern das Gewicht hängt im Fesseltragapparat, der aus Bändern besteht, und den Beugesehnen. Diese Gewebe haben die tolle Eigenschaft, dass sie Energie recyceln können. Sie dehnen sich und schnurren kurz darauf wieder zusammen. Der Fesselkopf wird wieder hochkatapultiert. Es wird also nur elastisches Gewebe verformt, dass sich wieder zurückformen kann. Andernfalls würde bei den Kräften, die zwischen Pferdekörper und Erdboden wirken, Material kaputtgehen.
Ein Gelenk ist also nicht etwa ein Verbindungsstück zwischen zwei festen Elementen, wie ein Scharnier. Ein Gelenk ist eine Lücke zwischen zwei festen Elementen, den Knochen. Diese Lücke ermöglicht, dass die Knochen bei Belastung einander ausweichen. Bei einem sogenannten Scharniergelenk, wie dem Fesselgelenk, das fast nur Bewegung in einer Achse zulässt, nämlich Beugung und Streckung (das was von der Seite betrachtet zu sehen ist) fährt der eine Knochenpartner auf einer definierten Kreisbahn um den anderen Knochenpartner herum. Diese Kreisbahn kann man auf dem Röntgenbild als Gelenkspalt erkennen. Das Drehzentrum dieser Kreisbahn liegt außerhalb des Knochens, somit kommt es hier, anders als bei einem echten Scharnier, zu keinerlei Reibung, nicht mal Berührung.
Arthrose ist ein Zeichen dafür, dass genau das nicht mehr funktioniert. Es kommt doch zur Berührung der Knorpelschichten, zumindest stellenweise. Und zwar wiederholt, immer wieder. Arthrose ist keine Verletzung, die durch einen Unfall passiert, sondern Verschleiß, d.h. das Gelenk wird immer und immer wieder unsachgemäß benutzt. Das heißt das Tier fügt sich, durch seine Art sich zu bewegen, selbst wiederholt einen Schaden zu. Diese unphysiologische, langfristig selbstzerstörerische Bewegung ist bereits zur Gewohnheit geworden.
Das klingt fast unglaublich. Jedes Fohlen, das gesund auf die Welt kommt, weiß innerhalb weniger Stunden, wie es zu laufen hat. Was kann ein Tier beim Laufen schon falsch machen? Wie kommt es zu einer verschleißenden Bewegungsgewohnheit?
Eine verschleißende Gewohnheit kennzeichnet sich dadurch, dass gewisse Selbstschutzmechanismen aufgegeben wurden. Eine bestimmte Hemmung wird überwunden, was dazu führt, dass, zumindest mit einem Teil des Körpers, rücksichtslos umgegangen wird.
Warum?
Dazu möchte ich ein paar Vergleiche heranziehen. Welche ungesunden Gewohnheiten haben wir Menschen? Ich weiß z.B. von Rauchern, dass die erste Zigarette nicht geschmeckt hat. Man musste husten, der Körper hat sich dagegen gewehrt. Ähnlich ist es mit bitter schmeckenden Genussmitteln wie Kaffee oder Alkohol. Als Kinder mochte man die nicht. Aber diese Abwehr des Körpers hat man irgendwann überwunden. Das Nervensystem hat gelernt, diese spezielle Abwehrreaktion zu ignorieren. Ein Lerneffekt. (Das ist jetzt Mutmaßung von mir, aber ich könnte mir vorstellen, dass gerade dieser Lerneffekt dazu beiträgt dass das einstige Objekt der Abneigung nun zum Suchtmittel wird, eben wegen dieser Selbstüberwindungserfahrung) Eine ungesunde Gewohnheit ist etwas, was man trotzdem macht. Indem man Signale des Körpers ignoriert, aus welchen Gründen auch immer. Das gilt auch für zu langes vorm-Computer-Smartphone-oder Fernseher-sitzen. Da wird der Bewegungsdrang und der Wunsch nach Sonnenlicht überhört. Ich will nun nicht weiter darüber philosophieren, ob das Selbsthass ist oder eine Ersatzbefriedigung.
Nun zum Lerneffekt des Pferdes. Ein Pferd mit verschleißendem Bewegungsmuster bewegt sich trotzdem vorwärts. Also trotz Faktoren, die eigentlich im Widerspruch zur Fortbewegung stehen.
Was könnte für ein Pferd im Widerspruch zur Fortbewegung stehen?
Beim Esel ist es einfach. Er trägt das evolutionäre Erbe des Gebirgslebens in sich. Ein falscher Tritt kann den Absturz zur Folge haben. Deshalb erstarrt er bei Stress und ist dann nur schwer in Bewegung zu versetzen.
Diese Erstarrungsreaktion gibt es bei Pferden auch, sie ist stark rasseabhängig. Insbesondere Tiere, deren Vorfahren in der Steppe gelebt haben, ziehen die Flucht als Stressreaktion vor. Aber auch für sie gibt es Gründe zum Erstarren oder zum Versteifen.
Der naheliegendste ist das Reitergewicht. Wird ein junges Pferd erstmalig mit einem Gewicht auf dem Rücken konfrontiert, ist es eine natürliche Reaktion, die Wirbelsäule und die Knie zu versteifen, das Becken abzukippen und die Füße etwas breiter auseinanderzustellen, zur Wahrung des Gleichgewichts.
Im Idealfall wird das Pferd schonend an dieses Gewicht gewöhnt und hat die Chance zu lernen, dass es dieses Gewicht am allerbesten tragen kann, wenn es unter ihm seine natürlichen Bewegungsabläufe ausführt, also dynamisch trägt und nicht statisch. Es legt dann seine stabilisierend versteifenden Körperreaktionen ab. Wenn es schlecht läuft, behält das Pferd diese bei und lernt vom Reiter, sich trotz dieser Versteifungen vorwärtszubewegen. Es wird dafür belohnt, wenn es mit einer Körperhaltung, die für stabiles Stehen vorgesehen ist, läuft. Das geschieht in den allermeisten Fällen durch negative Verstärkung. Das heißt, der Reiter macht Druck, solange das Pferd steht, und lässt diesen nach, sobald es sich vorwärts bewegt. Das Pferd kann unter Umständen, seine Stabilisierungsmechanismen nicht ablegen, entweder weil es nicht ausreichend vorbereitet, der Reiter zu schwer ist oder die Reiteinheiten zu lange dauern. Damit ist der Grundstein für ein verschleißendes Bewegungsmuster gelegt, aus dem sich eine Bewegungsgewohnheit entwickeln kann.
Ein weiterer Grund, sich nicht vorwärtszubewegen, ist die Fixierung von Kopf und Hals, sei es durch Ausbinder an der Longe oder durch die Reiterhand. Das Pferd braucht den Hals frei als Balancierstange und zum Schauen. Gerät das Pferd z.b. in Wendungen in Schräglage, hält es den Kopf natürlicherweise trotzdem parallel zum Boden. Die Kopfhaltung passt sich der Bewegung an, nicht umgekehrt. Nur unter Zwang und nach einem „Lerneffekt“ wird es sich trotzdem vorwärtsbewegen und muss dann seinen Bewegungsablauf der Kopfhaltung anpassen.
Das „Heranschicken“ an die Reiterhand (oder auch an Hilfszügel) ist also eine heikle Angelegenheit. Oft ist es Glücksache, ob der Reiter rechtzeitig aufhört, bevor die Muskulatur ermüdet ist, die gebraucht wird, um Stöße trotz starrer Kopfhaltung in der Wirbelsäule abzufedern.
Schmerzen in verschiedensten Körperregionen sind ein weiterer Grund für eine gehemmte Vorwärtsbewegung. Sei es der Magen, die Hufe, der Rücken evtl aufgrund eines unpassenden Sattels. Ein Pferd würde sich mit Schmerzen freiwillig nur sehr wenig bewegen.
Prinzipiell kann auch fehlende Motivation dazu führen, dass ein Pferd mit einem muskulären Spannungszustand, der eher fürs Stehen geeignet ist, lustlos vorwärts schlurft, wenn es dazu gedrängt wird. Ein Pferd, das aus eigenem Antrieb läuft, auf der Weide oder dem Weg dorthin, bewegt sich jedenfalls anders. Der ganze Körper ist auf „vorwärts“ eingestellt. Ganz oder gar nicht.
Ein ängstlicher Reiter kann unbewusst das Pferd dazu erziehen, energische, schwungvolle Bewegungen zu vermeiden und sich nur verhalten vorwärts zu bewegen. Dabei hat diese verhaltene Bewegung mangels reiterlicher Kenntnisse meist nichts mit Versammlung zu tun, sondern das Pferd arbeitet einfach auf einem sehr niedrigen Energielevel. Dieses Phänomen ist unter Freizeitpferden sehr verbreitet und geht sehr oft mit einer hafer- oder getreidefreien Fütterung einher.
Pferde sind gut darin, ihren eigenen Willen aufzugeben. Bei Eseln ist es schon schwieriger und bei Zebras unmöglich, sie zum Reittier zu erziehen.
Pferde machen fast alles mit, was der Reiter oder die Reiterin wünschen, auch dann, wenn der Mensch unerfahren ist und wenig über die Pferdeanatomie weiß. Auch dann, wenn der Mensch aus Angst oder mangelnden körperlichen Fähigkeiten dem Pferd kein vielseitiges Training anbieten kann, das Galopp im Gelände, Steigungen und Hindernisse beinhaltet. Auch dann, wenn ständig auf einem Viereck geritten wird, obwohl Pferde fürs Geradeauslaufen konzipiert sind. Auch dann, wenn der Mensch gar nicht daran interessiert ist, das Pferd zur Versammlung auszubilden, um die Wendungen auf gesunde Weise zu nehmen. Auch dann, wenn der Mensch noch nicht weiß, dass die Beugefähigkeit von Knie und Sprunggelenk entscheidend ist für die Qualität des Reitens und nicht die Kopfhaltung.
So werden viele Kilometer zurückgelegt in einer Fortbewegungsform die irgendwie „nicht Fleisch, nicht Fisch“ ist und das wird nichtmal bemerkt. Erst nachdem Gelenke bereits Schaden genommen haben, machen sich irgendwann Lahmheiten bemerkbar. Manchmal auch nur häufigeres Stolpern. Das dann erstmal der Unaufmerksamkeit des Pferdes zugeschrieben wird und vom Schmied durch ein Zurückraspeln der Zehe bekämpft wird.
Jeweils zweimal fast die gleiche Bewegungsphase im Trab. Zwischen den Wiesen- und Sandplatzfotos liegen zwei Jahre. Das Bewegungsmuster auf letzterem ist deutlich sichtbar ein Verschleißendes. Knie und Sprunggelenke werden versteift, die Vorderbeine überlastet. Auch zum Zeitpunkt der Wiesenfotos war dieser Prozess schon lange im Gang und die stolze Haltung nicht die Regel, sondern einem aufregenden Anlass geschuldet . Aber verschleißarme Abläufe waren da immerhin noch möglich.
Ein Pferd mit einem verschleißenden Bewegungsmuster schafft es nicht, an bestimmten Gelenken den Gelenkspalt auseinanderzuhalten. Da ist im zeitlichen Ablauf der Körperkoordination etwas verschoben, oder etwas ist aus der vorgesehenen Achse geraten.
Selbstverständlich spielt auch die Hufbearbeitung eine entscheidende Rolle. Bei zu hoher Anforderung an Tragfähigkeit oder Balance drehen Pferde gerne ihre Gliedmaßen ein oder aus. Wird nun versucht, einen geraden Huf an ein schiefes Bein zu schneiden, ist kein planes Auffußen mehr möglich und es kommt zum Herunterkippen einer Hufhälfte nachdem die eine Hälfte gelandet ist.
Oder das Pferd kann nicht in seiner komfortablen Haltung stehen, die ihm von der Schultermuskulatur vorgegeben wird, weil man versucht, es von unten her geradezurichten. Das ist nicht möglich bzw führt nur dazu, dass das Pferd im Stand schön gerade aussieht aber sich sehr unwohl fühlt und schlecht läuft.
Oder die Situation verschlimmert sich durch asymmetrisches Hufwachstum oder ungleichmäßigen Abrieb und wird unter Umständen vom Schmied oder der Hufpflegerin aus Vorsicht nicht genügend korrigiert.
Wie man Arthrose von vornherein vermeidet, dürfte nun klar geworden sein. Aber was tut man, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, es zu entzündlichen Schüben, Knochenzubildungen und eingeschränkten Gelenkspielräumen gekommen ist? Also neben sämtlichen obengenannten Maßnahmen und einer Haltungsform, die dem Pferd ermöglicht, sich zu bewegen, wann und wie es möchte und ausreichend im Liegen zu ruhen.
Herausfinden, wo die Comfortzone des Pferdes ist, was das Stehen und das Schrittgehen betrifft. Man sieht das am besten im weichen Sand, wo das Pferd sich mit den stärker belasteten Teilen der Hufe eingraben kann.
Das Pferd nicht vorwärtsschicken, im Gegenteil, es in seinem rücksichtslosen Vorwärtsdrang unterbrechen und zur Langsamkeit mahnen. Noch langsamer und noch langsamer. Schritt für Schritt. Oft stehenbleiben.
Das ist natürlich nicht alles. Und irgendwann ist es auch wieder sinnvoll, das Pferd mal zu schicken und zu energischerer Fortbewegung zu animieren. Unter Umständen. Aber es ist nicht möglich das hier zu erklären, ob und wann und wie. Das arthrotische Pferd muss das selbe lernen, wie jedes Reitpferd: Durchlässigkeit der Wirbelsäule, Mobilität im Unterkiefer und Hankenbeugung. Beim gesunden Pferd führen viele Wege dorthin. Der klassisch-sportliche FN-Weg, der viel Vorwärts-Abwärts-Trab , Stangenarbeit und Springen beinhaltet scheidet selbstverständlich aus. (Nicht nur wegen des Springens. Zu viele Kilometer werden in einer suboptimalen Haltung zurückgelegt.) Die Schule der Légèreté bzw Ausbildungskonzepte, die sich auf die Altmeister François Baucher und François Robichon de la Guérinière beziehen, sind, richtig angewandt, selbst für lahmende Pferde als Gymnastikschule geeignet. Die Ausbildung beginnt im Stand und im ganz langsamen Schritt. Vorwärtsbewegung in Vorderlastigkeit oder verspannter Haltung wird vermieden.
Davon abgesehen tut nichts dem arthrotischen Pferd so gut, wie wenn es das tut, was es will und ihm Spaß macht. Wenn Körper und Seele das selbe wollen, wenn eine innere Motivation zur Bewegung besteht.
Bei meiner Stute war es damals so, dass ihr das Spazierengehen irgendwann zu langweilig wurde. Ich stieg um aufs Fahren vom Boden aus. Sie sollte vorausgehen und den Weg für uns erkunden. Und plötzlich war eine ungeahnte Motivation da, der Kopf ging hoch und der Schritt war auf einmal sehr viel flüssiger.
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